Tim Bruening - Oma Thurman oder My Private Oldenburg
Text: Sven Christian Schuch
Catalogue Graphic Design: Other Types Studio (Charlotte Gosch, Jona Caspar Bähr)
Exhibition at Horst-Janssen Museum Oldenburg, 09. September - 03. October 2021
COMEBACK – eine öffentliche Proklamation, welch Freude, welch Aufatmen. Tim ist endlich zurück, an dem Ort, an dem alles begann! Der Titel der Publikation sowie der Einzelausstellung im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg ist erstmal programmatisch. 1983 in Hannover geboren, wuchs der Künstler in Oldenburg auf und kehrt nun mit einer Einzelausstellung in seine Heimatstadt zurück. Im Gepäck hat er Fotografien von der großen weiten Welt des Films und deren Protagonist*innen, die er im Rahmen von Events portraitiert hat.
Wenn sich Schauspieler*innen schön machen für die Awards, der rote Teppich ausgerollt wird, weht ein Hauch von Glamour durch Cannes, Los Angeles und auch Oldenburg. Da werden Stars und Sternchen zu Fleisch und Blut, da wird gefeiert, Blitzlichtgewitter zelebriert, Selfies geschossen, da verbinden sich Leinwand und reales Leben.
Tim Bruening kennzeichnet eine ganz eigene Ästhetik, die wohl am ehesten mit Snapshot zu beschreiben ist: augenblicklich, spontan und ganz nah am vermeintlichen Objekt der Begierde. Dabei erschafft er einzigartige Portraits, die im Moment der Situation geboren in seiner Fotografie verewigt werden. Wenn Philippe Mora ein Schild mit dem Schriftzug You Cunt emotionslos hochhält, als wäre er soeben auf der Polizeistation und es würde ein Headshot für die Akte genommen; oder Daniel Goldhaber auf einem Schaukelautomat kindisch verspielt in die Kamera grinst – die obligatorische Sonnenbrille darf natürlich nicht fehlen; der Schaupieler Tyler Wood abseits der Weltpremiere so tut, als würde er mit dem Schuh seines Filmpartners Yusuke Ogasawara telefonieren, oder David Hasselhoff sich vor unspektakulärem Pflanzengestrüpp über Jahrzehnte einstudiert souverän in Pose schmeißt.
Da sind die intimen Portraits, wenn er die Toni Erdmann Schauspielerin Sandra Hüller zu den Oscars begleitet, die Regisseurin Maren Ade auf der Oscar-After-Party schlafend einfängt, sich Anna Bertheau aus einem Impuls ihrer Kleidung entledigt und vor einem entwurzelten Baum – die Arme im Wurzelwerk ausgebreitet – als Akt einer zeitgenössischen Muse inszeniert.
Schauspieler*innen leben davon, dass Sie auf Bild gebannt werden. Sie sind es gewohnt, sich zu präsentieren und ein Image zu bedienen. Bruening lockt sie aus der Reserve, weckt den Abenteuergeist und kitzelt Übersprunghandlungen heraus, wobei sie ihm nie ausgeliefert sind. Den Bildern entnimmt man den einvernehmlichen Akt und das unabdingbare Wissen darum, mit dem Fotografen implizit unter einer Decke zu stecken. Dabei taucht Bruening in Selfies von Zeit zu Zeit gar selbst auf, mit Laura Tonke als Co-Star auf der Couch, oder aber im wahrsten Sinne hinter einer Monstermaske anonymisiert im Bett unter der Decke, wobei er sich damit als integralen Teil einer Industrie entlarvt, für die Vermarktung des Produktes Film damit einhergeht, sich und seine Person preiszugeben.
Die Fotografien oszillieren zwischen Schein und Wirklichkeit, Spiel und Authentizität, der Rolle und der Privatperson, zeigen den Reiz der Filmindustrie, und den Wert der Geschichten ihrer Protagonist*innen, denen eine Vorbildfunktion angedichtet wird, denen die Öffentlichkeit auf jeden Schritt folgt und deren persönliches Scheitern der ultimative Nährstoff aller Lifestyle Magazine ist. Es gehört einfach zum Business, das Privates und Geschäftliches untrennbar miteinander verwoben scheint, persönliche Beziehungen entscheidend sind und man Teil einer großen Familie ist.
Rhetorisch wird im Kontext Film der Begriff der Familie oft inflationär bemüht, wird Vertrautheit suggeriert und wie bei einer echten Familie, nach außen immer schön auf Heiterkeit gemacht. In Bruenings Fotografien ist Familie aber nicht nur symbolisch vertreten, sondern in Person von Oma Elsbeth der eigentliche Star der Ausstellung. Sie schlüpft in legendäre Rollen, verkleidet sich als Joaquin Phoenix Joker, reanimiert Uma Thurman in Kill Bill, verkörpert als Cowboy den klassischen Hollywood Topos und lässt Clint Eastwood vor dem geistigen Auge erscheinen. Es ist einfach ein Genuss, die Interpretationen von Oma Elsbeth im Kontext der Glamourwelt zu betrachten.
Spielerisch schafft Bruening so dem Ganzen humorvoll den Spiegel vorzusetzen, wird die Filmindustrie mit einem Augenzwinkern zugleich glorifiziert und entmystifiziert, wird seine eigene Rückkehr zu den Wurzeln und das proklamierte Comeback ins rechte Licht gerückt. Bruening treibt das Spiel weiter auf die Spitze, indem er Videointerviews in der Ausstellung präsentiert, in denen Hollywoodstars Statements oder gar persönliche Grußworte zum geglückten Comeback abgeben – oder gar an Oma Elsbeth richten. Manche der Gratulanten kennt Bruening persönlich, manche wurden extra über einen Internetanbieter angefragt, bei dem man Stars gegen einen kleinen Obolus einen Text mit ganz authentischen Twist einsprechen lässt.
Überschwänglich lamentiert Bruce Dern vom Comeback, philosophiert über den Sinn des Lebens und die geteilte Liebe zu Burt Reynolds, gratuliert Malcom Mcdowell zur Einzelausstellung im weltbekannten Oldenburg in Niedersachsen in der Nähe von Bremen, berichtet Baby Darrington detailliert und hoch emotional über den einstigen Moment des Kennenlernens, die Höhenflüge sowie den Tiefpunkt in der Kariere und den unaufhörlichen Absturz in die Drogenabhängigkeit, alles für einen kleinen Nebenverdienst. Der schmale Grat zwischen Aufrichtigkeit und Oberflächlichkeit wird dabei in den Videos ähnlich augenscheinlich demaskiert, wie der Betrachter augenblicklich erkennt, dass da weder Joaquin Phoenix noch Uma Thurmann portraitiert wurden, sondern einzig und allein Oma Elsbeth.
In der Ausstellung werden zudem durch die Selektion und Komposition der Fotografien in zueinander in Dialog tretenden Gruppen nochmal ganz eigene Narrative erzeugt. Dokumentarische Straßenszenen New Yorks werden da durch die Zugabe des Jokers aka Oma Elsbeth vor den Augen des Ausstellungsbesuchenden filmisch aufgeladen, der Anarchismus in Gotham City überträgt sich und wird förmlich spürbar.
Auf humorvolle Art wird Authentizität immer wieder in Frage gestellt, verwebt Bruening mit Fotografien von Landschaften in Form von Tapeten eine letzte visuelle Ebene als Hintergrundrauschen und Kulisse, vor denen sich das Spektakel Film abspielt. Zum Teil handelt es sich dabei um tatsächliche Drehorte von Filmen wie Star Wars oder Spiel mir das Lied vom Tod, zum anderen um reine Panoramaaufnahmen, die durchaus das Potential zu waschechten Drehorten hätten, die perfekte visuelle Folie performen könnten.
In COMBACK verdichten sich einzelne Werkgruppen zu cineastischen Collagen, korrespondieren Porträts bekannter Schauspieler*innen mit teils konkreten teils abstrakten Landschaften zu ganz eigenständigen Interpretationen, die übliche Betrachtungsmuster hinterfragen und den Blick des Betrachters zu neuen Lesarten ermutigen: ein Festakt für die Fantasie, die Faszination des Geschichtenerzählens und deren Potential, selbst das Unmögliche möglich zu machen.